Michael Schieferstein ist Koch. Als „Foodfighter“ kämpft er gegen Lebensmittelverschwendung.
Michael Schieferstein ist Küchenmeister und nennt sich „Foodfighter“. Er kämpft als gelernter Koch und langjähriger Ausbilder für eine größere Wertschätzung von Nahrungsmitteln und setzt sich gegen die Verschwendung ein. Bei einer Weltreise hat er erlebt, unter welchen Bedingungen manche Lebensmittel produziert werden, die hierzulande in den Supermarktregalen angeboten werden: in riesigen Gewächshäusern unter Einsatz von Pestiziden und in anderen Massenproduktionsanlagen. Oft werden Lebensmittel in den globalisierten Abläufen fern von dem Ort gezüchtet, an dem sie gegessen werden – mit hohem Energie- und Transportaufwand und unter oft tier- und menschenunwürdigen Verhältnissen, wie Schieferstein sagt: „Das kann ich nicht mit meinem Gewissen vereinbaren.“
Ausbeutung von Mensch, Tier und Umwelt, damit es hier bei uns rund um die Uhr und jederzeit das gibt, worauf man gerade Lust hat: Erdbeeren im Winter, Fleisch in allen Variationen, exotische Früchte und seltene Feinschmecker-Köstlichkeiten. Der „Foodfighter“ wehrt sich dagegen. Er ist Aktivist für Lebensmittel – im eigentlichen Wortsinn: „Weil sie Mittel zum Leben sind“, wie er betont, Lebens-Mittel eben.
„Projekt Globaler Wegwerf-Wahnsinn“ hat er ein Buch überschrieben, in dem er nicht nur seine Erfahrungen und Erlebnisse aus drei Jahrzehnten Küchenerfahrung schildert, sondern auch ganz praktisch Rezepte auflistet, wie auch aus vermeintlichen Resten und Abfällen noch leckere Gerichte entstehen. Sein Klassiker und die Basis: der Gemüsefond aus allen Gemüseresten der Küche. Er kocht in seiner Küche möglichst ohne Reste, verwertet alles, was er bekommen kann; wirft Sachen nicht schon weg, nur weil das eingedruckte Mindest-Haltbarkeitsdatum abgelaufen ist, aber sonst alles in Ordnung wäre. Dass nach Studien der Welternährungsorganisation FAO jährlich weit über eine Milliarde Tonnen essbarer Lebensmittel weggeworfen werden, hängt in den Industrieländern oft auch mit einem unbedachten Konsum zusammen: Kaufen, was in den Regalen ist – und Wegwerfen, wenn es längere Zeit ungenutzt im Kühlschrank stand.
Auch kirchliche Hilfswerke wie Misereor weisen immer wieder auf die fatalen Folgen eines unbedachten Konsums hin. „Alle vier Sekunden stirbt ein Mensch an den Folgen des Hungers, jeder vierte davon ist ein Kind unter fünf Jahren“, erklärt Misereor und fordert: „Das Menschenrecht auf Nahrung muss Vorrang vor dem Streben nach Gewinn haben.“ Angesichts dieser Situation ist die Lebensmittelverschwendung „eine Todsünde“, sagt Michael Schieferstein.
In Fernsehauftritten, öffentlichen Vorträgen und in zahlreichen Veranstaltungen verweist er immer wieder auf die ungerechten und letztlich „tödlichen“ Produktionsweisen: Wenn Konzerne wegen der Kostenkalkulationen die Globalisierung nutzen, um ihre Produkte am für sie günstigsten Ort herzustellen, bleiben dabei oft die Energie- und Klimaeffizienz und auch die gerechte Verteilung der Nutzung von Ackerflächen für die Bevölkerung vor Ort auf der Strecke, die zunehmend Hunger leidet. Auch Misereor fordert deshalb einen grundlegenden Wandel in der Agrarpolitik. Es gelte, Kleinbauern zu fördern, um Abhängigkeiten zu verhindern.
Besonders gravierend ist es für Michael Schieferstein, wenn Lebensmittel in den Ländern der so genannten „Ersten Welt“ gar nicht konsumiert werden, sondern ungenutzt in der Abfalltonne landen, weil das Mindest-Haltbarkeitsdatum abgelaufen ist. Ihn ärgert auch, dass Lebensmittel gar nicht in den Handel kommen, aussortiert und vernichtet werden – weil die Karotte nicht so gewachsen ist wie im Bilderbuch oder der Apfel nicht die gewünschte Form hat. Hier reagiert der Handel auf die eigenwilligen Vorstellungen der Kunde.
Das bedeutet im Umkehrschluss, dass der Verbraucher selbst schon mit seiner Kaufentscheidung am Supermarktregal die globalen Zusammenhänge beeinflussen kann: Angebot und Nachfrage bedingen sich hier.
Michael Schieferstein, der als Sachverständiger auch schon vor dem Bundestags-Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz sprach, geht mit seiner Idee auch in Schulen, um Kindern einen bewussteren Umgang mit Lebensmitteln beizubringen. Eine Grundschulklasse in Mainz etwa lernt bei den Aktionsstunden mit ihm nicht nur die Lebensmittel auch jenseits der Plastikverpackung kennen, sondern stärkt – ganz nebenbei – auch ihr Sozialverhalten untereinander. „Hier erfahren die Schüler wie es ist, in der Gruppe zu arbeiten, Projektarbeit zu machen und dann noch gemeinsam zu essen, mit Liebe zu essen, mit Genuss. Die lecken sogar den Teller ab“, berichtet Schieferstein.
Manche sagen vielleicht, er sei ein Idealist, ein Träumer – oder eben ein Kämpfer, der für seine Sache brennt. Ein Kämpfer gegen das Verschwenden. Für ihn kommt seine Motivation auch aus seinem christlichen Glauben. „Unser tägliches Brot gib uns heute“, heißt es im Gebet des Vaterunsers.
Das hat er schon aus Großmutters Zeiten gelernt, nicht nur im Wortlaut. Das habe er auch konkret erlebt bei seiner Großmutter, wie sie mit dem „täglichen Brot“ umgegangen sei: wie kostbar es gewesen sei und wie behutsam die Kinder damit umgehen mussten. „Beim Brot hat meine Oma selbst das letzte Stück noch verwertet“, sagt Schieferstein. „Wir müssen wieder mehr Verantwortung lernen, damit unsere Kinder auch noch etwas zu essen haben. Dafür kämpfe ich.“
Die allgemeine „Wegwerfkultur“ hat Auswirkungen auf alle Bereiche bis zum menschlichen Leben selbst, wie Papst Franziskus in seiner Neujahrsansprache betonte: „Leider werden heute nicht nur Nahrung und überflüssige Güter zu Abfall, sondern oft werden sogar die Menschen weggeworfen, als wären sie nicht notwendige Dinge.“ Das Umdenken beim globalen „Wegwerf-Wahnsinn“ beginnt dabei manchmal schon auf dem Teller, der gerade vor einem steht.
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