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„Wieder zu spät“: Den Eltern-Satz hören die jungen Wilden oft.
Konfrontation statt Kuscheln
Von: Anne Ferner-Steuer
„Ich provoziere, also bin ich“ – so könnte man das Verhalten Pubertierender beschreiben. Wie Eltern und Jugendliche diese „Sturm-und-Drangzeit“ gut meistern können, erklärt die „Paulinus“-Lebensberatung.
Im Alter von etwa elf Jahren sind erste Vorzeichen der Pubertät erkennbar; bis sie zwischen 14 und 16 Jahren ihren Höhepunkt erreicht, um mit ungefähr 17 Jahren wieder abzuflauen. Diese oftmals aufreibende „Sturm- und Drangzeit“ verlangt allen Beteiligten viel ab. Etwa ein Drittel aller Anfragen an die Lebensberatungsstelle sind Anfragen von Eltern pubertierender Kinder und Jugendlicher beziehungsweise Anfragen von Jugendlichen im Alter von 12 bis 18 Jahren.
Die Eltern von Florian kommen mit ihrem 15-jährigen Sohn in die Beratungsstelle. Florian, so sagen sie, „redet kaum mehr mit uns, motzt nur herum, will entweder in seinem Zimmer sein und seine Ruhe haben oder zum Bauernhof gehen, um dort mitzuarbeiten“. Zuhause mache er keinen Finger krumm. Seine Lieblingswörter seien „Ich“ und „Ich will ...“. Aus seinem Zimmer dröhne meist lautstarke Musik. PC-Spiele und Internet seien stundenlang an der Tagesordnung. Schule sei Nebensache für ihn geworden, seine Noten dementsprechend schlecht. Die Kommunikation zwischen Eltern und Sohn gehe gegen null. Komme es doch mal zu einem Gespräch, so ende dies sehr bald in lauten gegenseitigen Vorwürfen und einem abrupten Ende mit Türenknallen, so die Eltern. Die Eltern sorgen sich um ihren Sohn, insbesondere stellen sie sich die Frage, ob er seinen Schulabschluss schafft und eine Lehrstelle mit diesen Noten bekommt.
Rebellieren hat einen tieferen Sinn
Florian befindet sich in der Pubertät. Für den Heranwachsenden geht es in dieser Zeit um einschneidende körperliche, emotionale, soziale und kognitive Veränderungen. Es geht um Identitätsfindung, um die Sinnfrage „wo komme ich her, wo gehe ich hin?“, um die Frage „wer bin ich, wer bin ich für andere?“ (Selbst- und Fremdwahrnehmung) und auch darum, in die eigene Geschlechtsrolle zu finden (wer bin ich als Mann, als Frau?). Insbesondere das Rebellieren und Provozieren hat dabei einen tieferen Sinn: Es ermöglicht eine eigene Haltung und die Ablösung von den Eltern. Jugendliche wollen sich von der Herkunftsfamilie und der Erwachsenenwelt abgrenzen durch eine eigene Jugendkultur, die sich in Sprache, Kleidung und Körperschmuck (Tattoos, Piercing) ausdrückt. Heranwachsende brauchen die Reibung, den Streit, um sich selbst und ihre Grenzen zu spüren. Die Zeit der Pubertät ist der „Endspurt“ in der Familie. Der Heranwachsende wird flügge, er weiß, er muss fit werden, um aus dem behüteten Elternnest herauszufliegen. Am Nestrand kommen die Selbstzweifel: Bin ich schön genug? Bin ich klug genug?
In dieser Situation brauchen Jugendliche klare Ansagen, Herausforderungen und Vertrauen von den Eltern. Denn auch wenn Heranwachsende dies nicht offen zeigen, so sind sie doch arg verunsichert. Umfrageergebnisse zeigen, dass 90 Prozent der Pubertierenden mit sich überhaupt nicht zufrieden sind. So wünschen sich Heranwachsende doch immer noch Geborgenheitssignale und Wertschätzungshinweise ihrer Eltern. Wo die Jugendlichen etwas gut gemacht haben, gilt es als Eltern, diese positiv zu bestätigen. Bei aller Konfrontation sollten Eltern den jungen Leuten Respekt entgegenbringen im Sinne von: „Was du jetzt sagst, finde ich unmöglich, aber du als Person bist in Ordnung.“ Denn auch in diesen rauhen Zeiten ist der Erwachsene für den Gesprächsstil verantwortlich. Das verlangt von Eltern viel Impulskontrolle und Disziplin.
Chance auch für die Eltern?
Eine etwas ungewöhnliche Frage stellt sich: Könnte es sein, dass auch Eltern etwas von der Auseinandersetzung mit ihren Sprösslingen haben? Umfragen haben ergeben, dass Eltern und Lehrer durch Jugendliche angeregt werden, eingeschliffene Verhaltensmuster zu überdenken sowie Werte und Einstellungen zu überprüfen. Manchmal entdecken Erwachsene, dass neue Blickwinkel gewinnbringende Erfahrungen ermöglichen. Laut Umfrageergebnissen haben insbesondere Erwachsene, die Weiterbildungen machen, sich beruflich auf neues Terrain einlassen, weit weniger Probleme mit Heranwachsenden. Aus Sicht der Jugendlichen scheinen diese Art von Erwachsenen irgendwie sympathisch, da diese, genau wie sie selbst, sich auf Neues einlassen, Unbekanntes wagen.
Doch zurück zu Florian. Im Beratungsgespräch lenkt die Beraterin die „Scheinwerfer der Aufmerksamkeit“ hin zu den Dingen, die den Eltern an Florian gut gefallen. Nach anfänglichem Erstaunen über diesen neuen Fokus nennen beide Elternteile einige sehr schöne Eigenschaften und Charakterzüge von Florian. Dieser wird in seinem Stuhl „sichtlich größer“, der hängende, sich im Jackenkragen versteckende Kopf kommt langsam hervor und seine Blicke verfolgen zunehmend interessierter das Geschehen.
Offene Ohren für Nöte und Ängste
Im Verlauf der Gespräche schaffen es beide Seiten, Verständnis füreinander zu finden. Florian muss sich nicht länger nur zurückziehen, denn seine Eltern bekommen zunehmend „Ohren“ für seine Nöte und Anliegen. Florians Vater geht mit seinem Sohn zum Hof und lässt sich zeigen, was sein Sohn dort alles leistet. Der Vater staunt nicht schlecht; er entdeckt Begabungen in Florian, die ihm bislang verborgen waren.
Florians Mutter bekommt mit, dass Florian Probleme mit zwei seiner Lehrer in der Schule hat. Er fühlt sich ungerecht behandelt und beschloss für sich, in den „Schulstreik“ zu gehen, er kündigte der Schule innerlich. Florians Eltern erklären sich mit ihm solidarisch, und die Mutter vereinbart einen Termin mit den Lehrkräften in der Schule.
„Umbau des Gehirns“ mit Folgen
Durch die Gespräche in der Beratungsstelle wurde eine gute Kommunikation innerhalb der Familie wieder möglich, das Familienklima offener und freundlicher. Zwar konnten der Familie die üblichen Pubertätsthemen nicht abgenommen werden, jedoch fand sie einen anderen Umgang damit und untereinander.
Aus neurobiologischer Sicht steht Florian auch weiterhin noch eine Zeit lang unter dem Diktat der Hormone, und sein Gehirn befindet sich weiterhin gründlich im Umbau. Die Hirnforschung zeigt, wie sich die grauen Zellen in der Zeit der Pubertät neu vernetzen. Das Denkvermögen gewinnt an Schärfe, und die Kinderfreuden werden schal. Viele Wirren der Pubertät erklären sich aus dem „Umbau des Gehirns“. Was sie jetzt brauchen, sind verständnisvolle Erwachsene mit klaren Ansagen. Reibung und Auseinandersetzung müssen erlaubt sein, doch bei allen Wirren sollte die sichere Zusage dahinter stehen: „Du bist mein geliebter Sohn, du bist meine geliebte Tochter“.
Und mit dem Fokus auf das, was bei all dem Schwierigen doch noch geht und schön ist, reicht es manchmal vielleicht auch noch für einen Funken Humor und Gelassenheit. Denn Pubertät ist ja nicht nur Horror, es ist auch die Zeit, in der sich die jungen Sinnsucher gerne auf Literatur, Musik oder auch die Philosophie konzentrieren.
Manchmal bedarf es der Unterstützung von Eltern und Lehrern, passende Herausforderungen, gemeinsam mit den Jugendlichen, in den Blick zu nehmen. Ein offenes Ohr, Verständnis, klare Ansagen sowie ein gesundes Maß an Unterstützung und Herausforderungen seitens der Eltern sind dabei gute Voraussetzungen, gemeinsam gut durch die Zeit der Pubertät zu kommen.
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