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Glück:Weniger tun, mehr lassen

„Immer das Positive sehen“: So versuchen viele, sich und andere zu motivieren, ob es um das Wetter geht, den Verkehr oder die Arbeit. Doch Fachleute werben für ein Umdenken – denn allzu viel Positivität kann schaden.
Auf der Suche nach der inneren Ruhe und den damit einhergehenden Glücksmomenten kann auch die Meditation an spirituellen Orten eine große Rolle spielen
Datum:
8. Nov. 2023
Von:
Paula Konersmann

Das Glück wohnt im Norden Europas: Auf der Weltrangliste des Glücks stand im Frühjahr erneut Finnland an der Spitze, zum sechsten Mal in Folge. Im deutschen „Glücksatlas“ landeten schon mehrmals Schleswig-Holstein und Hamburg ganz vorn. Kriterien für diese vielbeachteten Berichte sind einerseits wirtschaftliche Daten, aber auch Gesundheit, soziale Beziehungen oder Möglichkeiten einer freien Lebensgestaltung. 

Perfektes Leben und Erfolg 

Auf nach Finnland also – oder zumindest nach Hamburg? Fachleute sehen das allgegenwärtige Sterben nach Glück skeptisch. „Was ist das für ein Glück, dem jeder nachjagen soll?“, fragte die amerikanische Psychoanalytikerin Nuar Alsadir kürzlich im Magazin der „Süddeutschen Zeitung“. Viele Menschen wollten „das perfekte Leben und den perfekten Erfolg“. In den USA ähnele das Glück inzwischen einer Ware, die man zu erhalten hoffe, wenn man bestimmte Dinge tue. Sie halte es indes für viel wichtiger, „tief zu fühlen, als glücklich so sein“, so Alsadir. 

Glücksgefühle erlebt man oft dann, wenn man sie am wenigsten erwartet, und umgekehrt wird mitunter enttäuscht, wer Momente der Freude erzwingen will. Weder die Weltreligionen noch die Philosophie legten einen besonderen Fokus auf das Streben nach Glück, schreibt der Feuilletonist Oliver Burkeman in seinem soeben auf Deutsch veröffentlichten Buch „Das Glück ist mit den Realisten“. Und er geht noch einen Schritt weiter: Das ständige Bemühen, negativ besetzte Gefühle wie Sorge, Traurigkeit oder Scham zu vermeiden, führe erst Recht zu Unsicherheit. 

Das Problem ist, dass wir uns angewöhnt haben, beim Nachdenken über Glück Positivität und die Möglichkeit des ‚Tuns‘ chronisch überzubewerten, während wir Negativität und die Möglichkeiten des ,Lassens‘ chronisch unterbewerten.

Oliver Burkeman

Die Neurowissenschaftlerin Rebecca Böhme betont, dass auch traurige und düstere Momente zum Leben gehören. Hilfreich sei, das Leben in einer Balance zu betrachten. „Zudem wird das, was man als schön und glücksbringend erlebt, durch diesen Kontrast sogar oft verstärkt. Wenn alles gut läuft, gewöhnen wir uns daran.“  

Aber nach der Corona-Pandemie, in Zeiten eines neuen Krieges auf europäischem Boden und einer sich zuspitzenden Klimakrise  ­­– ist es da nicht verständlich, dass man sich selbst Gutes tun will? Burkeman weist darauf hin, dass Menschen immer schon glaubten, in Zeiten einzigartiger Unsicherheit zu leben. Und genau darin liege eine Chance: Wer sich der eigenen Sterblichkeit bewusst sei, gewinne einen klareren Blick darauf, was wirklich wichtig sei.  

Intuitive Entscheidungen 

Allerdings, schreibt der Autor: „Das Problem ist, dass wir uns angewöhnt haben, beim Nachdenken über Glück Positivität und die Möglichkeit des ‚Tuns‘ chronisch überzubewerten, während wir Negativität und die Möglichkeiten des ,Lassens‘ chronisch unterbewerten.“ Wer Inspiration für ein Gegensteuern sucht, dem bietet Burkeman zahlreiche Anhaltspunkte von den antiken Stoikern über Achtsamkeitstraining bis hin zu einer schlichten, konkreten Frage gegen Grübeleien: „Hast du jetzt, in diesem Moment, ein Problem?“ 

Analytikerin Alsadir rät dazu, auf den eigenen Körper zu hören und wieder intuitiver zu entscheiden – auch bei alltäglichen Dingen. Glück und Verletzlichkeit seien oft ein und dasselbe, lautet das Fazit von Burkeman. Böhme sieht darüber hinaus eine moralische Verantwortung, sich betreffen zu lassen von den „Grausamkeiten in der großen Welt“. Es sei durchaus möglich, in der eigenen kleinen Welt zugleich offen zu bleiben für schöne Momente und Erfahrungen: „Das schafft eine Spannung –und die muss man lernen auszuhalten.“