Portrait:Soziales Denken, konstruktives Gestalten
Weiße Haare, kurzer weißer Vollbart; groß, aber nicht zu groß; schlank, aber dem Genuss durchaus zugeneigt. Dazu ein feinsinniger Humor, der ihm 2014 den Franz-Weissebach-Preis der Trierer Prinzenzunft bescherte. Kurz, ein Mensch, dem man gerne sein Vertrauen schenkt. Begegnungen mit Bernd Kettern sind in der Regel immer angenehm. Ihn umgibt eine freundliche Aura, der man sich nicht entziehen kann. Im Gespräch ist er ein aufmerksamer Zuhörer, der zudem mit einer raschen Auffassungsgabe und einem scharfen Verstand zu beeindrucken weiß. Was so auch Rainer Lehnart, der frühere Ortsvorsteher des Trierer Stadtteils Feyen/Weismark, bestätigt: „Die Zusammenarbeit mit Herrn Kettern, der einige Jahre dem Ortsbeirat angehörte, fand ich als Ortsvorsteher sehr konstruktiv und angenehm. Sie war stets zum Wohle des Stadtteils und fern jeder parteipolitischen Ideologie ausgerichtet, was man von anderen nicht behaupten konnte.“
Kettern ist es gelungen, den Blick für den einzelnen hilfsbedürftigen Menschen nie zu verlieren.
Markus Leineweber, Krankenhaus der Barmherzigen Brüder
Eine Einschätzung, die der Vorsitzende des Direktoriums im Krankenhaus der Barmherzigen Brüder, Markus Leineweber, ausbaut: „Dr. Bernd Kettern hat maßgeblich dazu beigetragen, dass sich der Caritasverband Trier zu einem großen Sozialunternehmen entwickelt hat mit einer hohen gesellschaftlichen Relevanz. Kettern ist es dabei gelungen, den Blick für den einzelnen hilfsbedürftigen Menschen nie zu verlieren. Gerade in besonderen Notsituationen wie etwa der Flutkatastrophe war er mit dem Aufbau der Fluthilfe zur Stelle, um unbürokratisch und pragmatisch Hilfsangebote zu schaffen. Den Blick für die Not in der Welt hat er zudem immer offen gehalten: eine tiefe Freundschaft verbindet ihn bis heute zu den Menschen in der Ukraine, insbesondere mit den dortigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Caritas und der Malteser. Kettern kämpfte und brannte um eine Sache, begeisterte andere für große und zukunftsweisende Projekte, wie jüngst das Projekt Wohnraum Trier-West. Mitarbeitende des Verbandes sowie auch Vertreterinnen und Vertreter kooperierender Institutionen und Behörden ließen sich von dieser Begeisterung gerne mitreißen und überzeugen. Sein Handeln wurzelte in der Spiritualität seines authentischen christlichen Glaubens, der für ihn immer wieder eine Kraftquelle war.“
Architekt oder Winzer als Optionen
Sein Geburtstag ist der der Kaiser Konstantin und Napoleon: Bernd Kettern, jüngerer Bruder von zwei Schwestern, erblickte am 5. Mai 1961 in Trier das Licht der Welt. Dass er mal Caritasdirektor werden würde, ahnte damals niemand. Natürlich hegte Vater Edwin insgeheim den Wunsch, dass Bernd eines Tages seinen beruflichen Spuren als Architekt folgen würde. Doch der Junge hatte andere Pläne. „Einen ganz spezifischen Berufswunsch hatte ich nicht“, erinnert er sich heute. Wohl habe es Überlegungen gegeben, in den Weinbau zu gehen. Das war dann wohl den familiären Wurzeln geschuldet, die sich in Piesport an der Mosel befinden.
„Da aber der Teil der Familie, der ich angehöre, kaum noch Weinberge hatte, wurde es damit nichts. Wenngleich mich das Studium in Geisenheim sehr interessiert hätte, blieb es halt beim kultivierten Weingenuss“, schmunzelt Kettern. Und die Architektur? „Der Vater brachte mich schon früh in der Nachbarschaft mit einer Baufirma in Kontakt. Da habe ich dann den Bauhof gekehrt und in den Ferien als Handlanger auf den Baustellen die ersten Jobs erledigt. Zudem brachte mein Vater mir Technisches Zeichen bei und bemühte sich auch sonst, meine Begeisterung für diesen Beruf zu wecken. Alleine – es hat dafür nicht ganz gereicht. Sehr viel später, ich meine jetzt die letzten Jahre, als bei mir im Büro die Umbaupläne für die Gebäude an der Wand hingen, da hätte er mit Sicherheit seine Freude daran gehabt und bestimmt gedacht, ‚Jetzt ist aus dem Jungen doch noch was Ordentliches geworden‘…“
Irgendwann kam ich zu dem Schluss, dass Theologie und Philosophie für mich sehr interessant sein könnten.
Bernd Kettern
Also weder Winzer noch Architekt – wie kam es dann zum Studium der Theologie? Wieder schmunzelt Kettern ob der Erinnerungen: „Das hat auch familiäre Diskussionen ausgelöst…“ In der Pfarrei St. Anna in Olewig war der Vater in verschiedenen Gremien tätig, „da habe ich mich dann bei der ein oder anderen Gelegenheit wie beispielsweise beim Umbau des Pfarrsaales aktiv mit eingebracht.“ Das blieb natürlich auch dem damaligen Pfarrer Josef Hassler nicht verborgen, der dem jungen Bernd eines Tages einen Ferienjob im Pfarrbüro anbot. „Dort lernte ich seine theologische Bibliothek kennen, auf die ich freien Zugriff hatte. Ich fing dann an immer mehr zu lesen und irgendwann kam ich zu dem Schluss, dass Theologie und Philosophie für mich sehr interessant sein könnten.“
Von da an las er noch mehr. „Ich legte mir vom Verlag Herder die grüne Reihe der Theologischen Taschenbücher zu. Das ist meinen Eltern natürlich aufgefallen und sie fragten mich, was der Grund dafür sei.“ Bei seinen Religionslehrern Hermann-Josef Senzig und Walter Gemmel am Friedrich-Wilhelm-Gymnasium fand er Unterstützung. 1980 wechselte er nach dem Abitur ins Trierer Priesterseminar. „Meine Mutter fragte damals meinen Vater, der mir beim Umzug geholfen hatte, wo ich denn gelandet sei. Seine Antwort war kurz: ‚Frag‘ lieber nicht‘…“
Die Berufungstiefe hat nicht ausgereicht
Stellt sich die Frage: Warum wurde er kein Priester? „Ich habe während des Studiums erkannt, dass die Berufungstiefe dafür nicht ausgereicht hätte.“ Allerdings legte ihm der damalige Regens das Studium der Theologie und Philosophie ans Herz, „weil das halt die Fächer seien, die mir besonders liegen würden – und das hat sich dann auch als richtig erwiesen.“ Parallel zum Theologiestudium absolvierte Kettern an der Universität Trier noch einen Magisterabschluss in Philosophie. „Später musste ich mich entscheiden, in welchem der beiden Fächer ich promovieren wollte. Für die Theologie entschied ich mich, weil es da Sozialethik gab, da konnte ich beide Aspekte miteinander verbinden.“
Es folgten berufliche Stationen im Liturgischen Institut („Da konnte ich an der Vorbereitung der Gottesdienste anlässlich des Papstbesuches 1987 mitwirken, dabei habe ich sehr viel über die Organisation von Großereignissen gelernt“) und an der Theologischen Fakultät. Von dort aus ging es nach Bonn ins Institut für Gesellschaftswissenschaften der Dominikaner im Kloster Walberberg, wo ihn 1994 das Angebot als Caritasdirektor in Trier zu arbeiten erreichte.
Ungewöhnliche Situation mit gutem Ende
Eigentlich war eine Stelle als Hochschullehrer der Plan, an der von der Görres-Gesellschaft geförderten Habilitation zum Thema Steuer-Gerechtigkeit wurde bereits gearbeitet. Nach einem Gespräch mit seinem Doktorvater, der ihm riet, das Angebot für eine Zeit anzunehmen („Ich sollte vorher in der Praxis noch einige Erfahrungen sammeln“) sagte Kettern zu. Für ihn war es aber auch eine reizvolle Aufgabe, der er gerne nachkam, die jedoch auch ihren Preis hatte. Parallel zur Geschäftsführung in Trier oblag ihm mehrere Jahre die Geschäftsführung über Teile des Nachbar-Caritasverbandes. Die Herausforderungen waren so enorm, dass sie in der normalen Dienstzeit bei weitem nicht erfüllt werden konnten. Ein Arbeitsprozess, der viel Kraft und Einsatz kostete und dem Ketterns damals noch junge Ehe nicht standhielt.
Natürlich blieb das Engagement dem Diözesan-Caritasverband nicht verborgen. Einige Jahre später bot dessen Direktorin, Dr. Birgit Kugel, Kettern die Stelle des stellvertretenden Direktors an. „Das war für mich reizvoll, ich bin beim gleichen Arbeitgeber geblieben, hatte jetzt aber eine andere Rolle. Ich bekam andere Aufgabenschwerpunkte, in denen ich neue Erfahrungen sammeln konnte. Jetzt war ich nicht mehr im Raum Trier unterwegs, sondern in den anderen Gebieten der Diözese. Das war eine sehr interessante und dichte Zeit für mich.“ Doch dann kam es beim Caritasverband Trier zu einer Veränderung. Das Arbeitsverhältnis mit der Frau, die Kettern in der Funktion des Direktors nachgefolgt war, wurde aufgelöst und Kettern gefragt, ob er übergangsweise aushelfen könne. „Ziemlich überraschend gab es dann eine Initiative der Mitarbeitervertretung und des damaligen Ortsvorstandes, die bei Dr. Kugel vorstellig wurden und darum baten, dass ich meine alte Position wieder einnehmen solle.“ Eine ungewöhnliche Situation, die jedoch nach intensiven Gesprächen ein allseits befriedigendes Ende fand.
Es gab kein Lehrbuch, das gesagt hätte, so macht man das.
Bernd Kettern
In einem klassischen Caritasverbund bilden sich sehr viele Hilfsangebote ab. Bedingt dadurch fällt Kettern die Antwort nach den Schwerpunkten seiner Arbeit schwer. Die Themen Pflege, Alter, Kindertagesstätte, Behinderung, Wohnungslosenhilfe wechseln ab – „je nachdem, was gerade im gesellschaftspolitischen Diskurs geregelt oder aber auch weniger gut geregelt wird und wo es Erfordernisse gab.“ Ganz zu Beginn seiner Tätigkeit stand die Arbeit mit Aus- und Übersiedlern im Vordergrund: „Angefangen habe ich mit etwa 30 Übergangswohnheimen im alten Regierungsbezirk Trier. Da mussten wir für Tausende Lebens- und Berufsperspektiven entwickeln, das war eine große Herausforderung für unser Team.“ Das aber sei auch wieder sehr hilfreich gewesen, als 2015 die sehr große Zahl von Flüchtlingen nach Trier kam. „Da war der Caritasverband Trier sowohl für das Land Rheinland-Pfalz wie auch für die Stadt Trier wie auch für den Kreis Trier-Saarburg tätig. Wir haben zwischen 2015 und 2018 insgesamt 26.000 Menschen hier versorgt. Das ist dank eines großen Netzwerkes weitestgehend geglückt, und dafür bin ich heute noch dankbar.“ In dieser Zeit habe man auch gelernt, flexibel zu arbeiten: „Es gab kein Lehrbuch, das gesagt hätte, so macht man das.“
In den letzten Jahren seiner Tätigkeit forderten den Direktor Veränderungsprozesse in der Struktur der Aufbauorganisation aber auch der in die Jahre gekommene Immobilienbestand: „Da wurde einige Projekte erfolgreich realisiert, andere, um die sich nun die Nachfolger kümmern müssen, stehen in den Startlöchern."
Auf die Mitarbeitenden war immer Verlass
Im Jahr 2021 kam auch die Fluthilfe-Organisation dazu, „diese Arbeit und die daraus gewonnenen Erfahrungen, bewährten sich dann erneut in 2024.“ Alles in allem, so Kettern rückblickend, habe er sehr viel Vertrauen erhalten, mit dem er den verschiedenen Herausforderungen begegnen konnte. Dass ihm das gelingen konnte, verdanke er den knapp 1000 Mitarbeitern, auf die er sich immer verlassen konnte.
Und dann war da noch eine ganz andere Sache: „Nach vielen Jahren geleisteter Überzeugungsarbeit haben wir es in der Deutschen Bischofskonferenz gepackt, die Grundordnung des Kirchlichen Dienstes in weiten Teilen zu reformieren. Dazu zählte, dass Geschiedene oder Wiederverheiratete weiterhin im Kirchlichen Dienst tätig sein können.“
Sorge bereitet ihm die politische Extremsituation in Europa in Bezug auf Migration: „Mit großem Interesse verfolge ich den politischen Diskurs über die Rückkehr von Flüchtlingen nach Syrien. Hier sollte man nicht vorschnell politische Programme entwickeln, sondern sorgfältig hinschauen, was sich in diesem Land tut und wo es Chancen für Rückkehrer gibt, damit sie in ihrem Land wieder Fuß fassen können – sofern sie es denn wollen.“
Tatsächlich habe ich nun sehr viel Zeit für die familiären Dinge, und das wird von meiner Frau, den drei Kindern und zwei Enkelkindern auch gut angenommen.
Bernd Kettern
Und wo liegen seiner Meinung nach die künftigen Herausforderungen für die Caritas? „Wir sind eine Organisation, die sich ausdrücklich der Nachfolge und dem Erbe Christi verschrieben hat, der uns durch seine Nächsten- und Gottesliebe geprägt hat und der eine Heilszusage an diese Welt ist. Dieser Heilszusage den Menschen gegenüber müssen wir folgen. Wie das im 21. Jahrhundert glaubwürdig geschehen kann, und wie die geistigen Wurzeln der Caritas immer wieder neu interpretiert werden können, darüber muss intensiv nachgedacht werden.“
Nachdenken, das hat sich Bernd Kettern für die Zeit seines Ruhestands auch selbst verordnet. „Ich habe damit begonnen, ein ganzes Werk mit exegetischem Kommentar zum Alten Testament, das ungemein spannend ist, zu lesen. Dieses Werk werde ich in den nächsten Jahren komplett gelesen haben. Das bereitet mir heute schon sehr viel Freude. Überhaupt lese ich jetzt ungemein viel. Ich genieße das, dass ich mir meine Literatur in Ruhe aussuchen und mehrere Sachen gleichzeitig lesen kann. Zudem spiele ich viel Klavier, das tut mir sehr gut. Und tatsächlich habe ich nun sehr viel Zeit für die familiären Dinge, und das wird von meiner Frau, den drei Kindern und zwei Enkelkindern auch gut angenommen…“