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Weihnachten im Interview:„Ich war kein Wunschfest“

Angenommen, man könnte sich mit dem Weihnachtsfest direkt unterhalten. Was würde es über sich und die Menschen sagen? Der Autor Gideon Böss hat den Versuch gewagt und gleich das Buch „Weihnachten – ein Fest packt aus“ darüber geschrieben.
In den USA glauben Kinder, dass Santa Claus die Geschenke bringt.
Datum:
20. Dez. 2024
Von:
Gideon Böss
Gideon Böss, Weihnachten – ein Fest packt aus, Patmos Verlag, ISBN 978-3-8436-1504-4, 176 Seiten, Preis 20 Euro.

Warum haben Sie erst jetzt Ihre Autobiografie veröffentlicht? 

Weihnachtsfest: Nun, zum einen bin ich wahnsinnig beschäftigt. Vor dem Fest ist nach dem Fest und umgekehrt, sie wissen schon. Da bleibt wenig Zeit für andere Dinge. Zum anderen ist dieses ganze Phänomen, dass plötzlich jeder seine Autobiografie veröffentlicht, ja ziemlich neu. Als ich dann aber merkte, dass auch Prinz Harry, Mario Basler und Cathy Hummels ihre Memoiren geschrieben haben, dachte ich: Jetzt musst du das wohl auch langsam mal machen.  

Sie sind ein Erfolgsfest und –  

Falsch! Entschuldigung, dass ich da so energisch eingreife. Aber das ist so nicht wahr. Das gilt für die letzten 150 Jahre, aber ich bin 2.000 Jahre alt. Und die meiste Zeit über hatte ich es schwer. Ich war kein Wunschfest! 

Inwiefern kein Wunschfest?  

Die Christen haben mich über Jahrhunderte hinweg vollkommen ignoriert. ‚Dieses Jahr fällt Weihnachten aus‘ war für sie in den ersten 350 Jahren ganz normal. 

Aber wie kann es das Christentum ohne die Geburt Jesu geben? 

 Ostern! Ein Wort, Ostern. Der Kreuzigung und Auferstehung galt alle Aufmerksamkeit. Und später auch noch Pfingsten. Aber für mich hat sich niemand interessiert. 

Haben Sie in dieser Zeit an sich gezweifelt?  

Es gab dunkle Stunden, das will ich nicht leugnen. Ich schäme mich auch nicht, das zuzugeben.  

Aber irgendwann muss dann ja doch das Interesse an der Geburt Jesu am 25. Dezember geweckt worden sein.  

Wenn es so einfach wäre. Als die Christen endlich anfingen, sich für den Geburtstag von Jesus zu interessieren, gingen die Probleme erst so richtig los. Niemand hatte nämlich die geringste Ahnung, wann dieser Geburtstag gewesen sein sollte. An welchem Tag, in welchem Monat.  

Wie kann das sein?  

Ja, wie kann das sein? Vielleicht fragen sie das mal den guten Evangelisten Lukas. Er wird Weihnachtsevangelist genannt. Warum? Er hat zwar in der Bibel über die Geburt Jesu berichtet, aber nirgendwo ein Datum angegeben. Wie kann man so was vergessen?  

Der 25. Dezember war also nicht gesetzt?  

Im Gegenteil. Die Christen wollten erstmal unbedingt einen Geburtstag im März. Weil er als der Monat der Schöpfung galt. Am Ende einigte man sich drauf, dass Maria am 25. März den Heiland empfangen hat. Geburt dann eben am 25. Dezember.  

Okay, aber dann stand doch endlich dem Aufstieg zum heutigen Globalfest nichts mehr im Weg, oder?  

Ich merke bei diesen Fragen, dass es wirklich höchste Zeit für meine Autobiografie war. Kaum jemand scheint meine Geschichte wirklich zu kennen, die Geschichte hinter dem heutigen Kerzenschein und Lebkuchenduft.  

Und dieses Interview will einen Beitrag zur Aufklärung leisten. Wenn Sie also die Frage beantworten mögen?  

Damals begann gar kein Aufstieg. Ich blieb weiterhin ein Außenseiter. Gerade in den kalten europäischen Wintern hatten die Leute wenig Lust, mich gebührend zu feiern. Die hatten genug damit zu tun, nicht zu erfrieren oder zu verhungern.  

Das klingt dramatisch. 

Es war nicht schön, sagen wir es mal so. In diesem Zustand vergingen erneut einige Jahrhunderte.  

Aber irgendwann muss ja die große Wende stattgefunden haben, die zu Ihrem heutigen Erfolg geführt hat, liebes Weihnachtsfest.  

Wollen Sie mal raten, was es war?  

Vielleicht Martin Luther?  

Martin Luther? Sie haben eben wirklich Luther genannt? Das war ein Kerl, der mir brutal zugesetzt hat! Die ganze Reformation war zutiefst traumatisch für mich. Luther und seine Leute haben mir den treuen Nikolaus genommen. All die Heiligen der Katholiken waren den Protestanten ein Dorn im Auge. Sie haben mir zwar als Ersatz das Christkind gegeben, immerhin das, aber das war keine angenehme Zeit für mich. 

Dann verraten Sie uns doch selbst endlich, wann Ihr kometenhafter Aufstieg begann.  

Ich bitte Sie! Im 19. Jahrhundert. Musiker, Autoren und Dichter standen Pate dafür. Im Grunde die gerade erwachende Unterhaltungsindustrie, wenn Sie es so sehen wollen. Damals wurde ich zu etwas umgewidmet, was ich zuvor nicht war: ein Familienfest. Charles Dickens „Eine Weihnachtsgeschichte“ hatte einen großen Anteil an dieser Veränderung. Sie wissen schon, die Geschichte mit den Geistern der vergangenen, gegenwärtigen und kommenden Weihnacht. Aber besonders viel wurde in Deutschland gereimt, gedichtet und gesungen. Ich wurde also immer mehr ein Fest, das mit Besinnlichkeit, Familie und Großzügigkeit verbunden wurde. I 

Im 19. Jahrhundert wurde also unsere moderne Weihnacht erfunden?  

So ist es. Die moderne Weihnacht ist ein Amerikaner mit britischen Wurzeln und deutschem Akzent.  

Warum Amerikaner?  

Während das 19. Jahrhundert das deutsche Weihnachtsjahrhundert war – in diesem Land wurden damals unter anderem auch der Adventskalender und Adventskranz erfunden – übernahmen die Amerikaner ab dem 20. Jahrhundert die Führung. Neben vielen Weihnachtsliedern und Geschichten brachten sie auch eine Figur hervor, der die verschiedenen christlichen Kirchen miteinander versöhnte.  

Santa Claus?  

Richtig. Während Gestalten wie der Nikolaus und das Christkind konfessionell vorgeprägt waren, hatte Santa Claus mit all dem Gezänke nichts am Hut. Er war einfach ein netter Opa mit einem Sack voller Geschenke, die er den Kindern brachte. Er verdrängte unterm Weihnachtsbaum die Krippe durch die Legoburg. Ich wuchs nun über meine religiösen Wurzeln hinaus und konnte plötzlich auch als ganz weltliches Geschenkfest gefeiert werden.  

Und damit waren die Weichen gestellt und Sie konnten endlich zu einem globalen Fest werden.  

Ja, nachdem ich mich fast 1.800 Jahre gedulden musste, in denen ich oft genug verhöhnt, verlacht und verboten wurde.  

Dann genießen Sie den Erfolg, den Sie gerade haben.  

Das tue ich. Das tue ich wirklich.  

Vielen Dank für dieses Interview.  

HoHoHoHo.