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„Ich poste, also bin ich“

Ein Tag ohne Mobiltelefon – für viele Jugendliche ein Alptraum. Was können Eltern tun, wenn ihre Kinder nur noch online sind und Wichtiges vernachlässigen? Damit beschäftigt sich die „Paulinus“-Lebensberatung.
Was haben die Freunde geschrieben? Diese Frage ist vielen Jugendlichen wichtiger als die Schularbeiten. Ohne Mobiltelefon geht nichts mehr.
Datum:
24. Sept. 2017
Von:
Maria Weber

Annas Mutter ist entnervt. Die 13-jährige Tochter hat keinen Bock auf Schule und schon gar nicht auf Hausaufgaben. Ihr Lebensmittelpunkt sind ihre Freundinnen, aber zuallererst ihr Smartphone. Seit sie das hat, ist Anna ständig online, kommuniziert mit den anderen über Facebook und Whats-app und ist für andere Dinge kaum mehr zu motivieren.

Ohne Smartphone spielen sich Dramen ab

Sitzt Anna doch mal an ihrem Schreibtisch vor ihren Schulsachen, muss sie zwischendurch immer wieder schauen, wer gerade was geschrieben oder gepostet hat. Für sie ist es wichtig, immer alles mitzubekommen. Versuchen die Eltern einzuschreiten und Hausaufgaben ohne Smart­phone einzufordern, spielen sich Dramen ab. Anna ohne ihr Smartphone gibt es nicht mehr.

In Annas Alter sind Gleichaltrige und das Gefühl von Zugehörigkeit zu ihnen wichtig. Dass in ihrem Alter die Schule alles andere als die oberste Priorität hat, ist nichts Neues. Also alles wie immer …. Oder doch nicht?

Der Umgang von Kindern und Jugendlichen (aber durchaus auch von Erwachsenen) mit ihren Smartphones oder Tablets ist in der Lebensberatung häufiges Thema. Besonders das Smartphone hat eine ganz besondere Bedeutung bekommen. Verlust oder Nichtverfügbarkeit werden als persönliche Katastrophe und als bedrohlich erlebt. Smartphones eröffnen uns viele tolle Möglichkeiten. Leider haben sie aber auch „Nebenwirkungen“.

Unübersehbar haben Smart­phones & Co Macht über uns gewonnen. Sie bestimmen, was wir tun, sie beeinflussen, wie wir miteinander und mit uns selber umgehen. So geben sie uns das Gefühl, uns immer an jemanden wenden zu können, immer gehört zu werden, uns ablenken zu können und nie alleine zu sein.

Das verändert die Psyche: Unangenehme Gefühle und Alleinsein müssen nicht mehr ausgehalten werden. Sie können vermieden werden, indem man schnell zum Smartphone greift, auf Whatsapp eine Nachricht schreibt oder auf Facebook etwas postet. Irgendjemand wird vielleicht antworten, einen Kommentar schreiben oder mit einem „Gefällt“ reagieren. Auf jeden Fall bekommt man das tröstliche Gefühl, irgendwie wahrgenommen und beachtet zu werden und muss die Spannung eines möglichen persönlichen Bedeutungsverlustes durch Nichtbeachtung nicht mehr ertragen.

Dabei hat das Aushalten von Alleinsein und von unangenehmen Gefühlen eine wichtige Funktion in der Entwicklung der Persönlichkeit. Alleinsein ermöglicht, sich über sich und die Welt Gedanken zu machen, zu reflektieren, sich selbst zu finden und aus dieser Position mit anderen eine tiefere Bindung einzugehen. Durch das Aushalten negativer Gefühle kann die Erfahrung gemacht werden, die eigenen Emotionen alleine regulieren zu können. Werden diese Erfahrungen aber nicht gemacht, bleibt man auf Hilfsmittel angewiesen, um sich wieder gut zu fühlen. Das Smartphone garantiert, dass man immer mit irgendjemandem in Kontakt treten und unangenehme Gefühle, Langeweile oder innere Leere vermeiden kann. Die Erfahrung, die dabei gemacht wird, heißt: Ich brauche eine ständige Anbindung an die „Außenwelt“, um mich meiner selbst zu versichern und um meine Gefühle und Emotionen zu regulieren.

Der Präsenz im Internet kommt so eine enorm wichtige Bedeutung zu. Durch sie kann zumindest eine momentane emotionale Ausgeglichenheit hergestellt werden, man kann sich wieder spüren und sich so der eigenen Existenz versichern. Es geht dabei weniger um Kontakt zu anderen, vielmehr um die Herstellung eines Gefühls für sich selber, um die Vermeidung von Leere nach dem Motto „ich poste etwas auf Facebook, also werde ich wahrgenommen, bin ich wer, existiere ich“.

Daraus resultiert ein Leben, das permanent um die Vermeidung „schlechter“ Gefühle und die Regulierung der eigenen Gefühlswelt kreist und damit nur auf den momentanen Augenblick ausgerichtet ist. Der längerfristige Blick geht verloren, Perspektiven können nicht entwickelt werden, Selbstreflexionsfähigkeit und Autonomie werden verhindert. Aber all das gehört zu den Entwicklungsaufgaben des Jugendalters.

Risiken benennen, Alternativen aufzeigen

Wie können wir in der Lebensberatung helfen? Es geht nicht darum, Smartphones aus dem Leben zu verbannen. Es geht vielmehr darum, die Risiken klar zu benennen und Alternativen aufzuzeigen. Ein erster Schritt könnte sein, wenn Erwachsene ihren Kindern vermitteln, dass die Fähigkeit, alleine zu sein, eine gute Sache, ein Wert ist. Sie können zudem dafür sorgen, dass auch ausreichend Gelegenheit zu persönlichem Gespräch besteht.

Ein weiterer Schritt kann sein, gemeinsam mit Eltern und Kindern herauszufinden, wie sie einerseits mit unangenehmen Gefühlen und innerer Leere umgehen und sich andererseits selbst positiv spüren und erfahren können, und welche Dinge sie tun können, die für sie von wirklicher Bedeutung sind und die ihre Autonomie und innere Unabhängigkeit stärken. Dann können Kinder und Jugendliche emotionale Stabilität entwickeln, die über den Augenblick hinausgeht.