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Inklusive Seelsorge:„Ich bin traurig, du bist da“

Jeder Mensch erlebt Trauer auf eigene Weise. Menschen mit geistiger Behinderung werde dieses Empfinden jedoch oft abgesprochen, kritisiert ein Seelsorger. Dabei habe er auch von ihnen etwas über Trauer gelernt, sagt Jochen Straub, Referent für inklusive Seelsorge im Bistum Limburg, im KNA-Interview. Er hat das inklusive Trauerbuch „Ich bin traurig, du bist da“ veröffentlicht.
Jochen Straub, Referent für inklusive Seelsorge im Bistum Limburg.
Datum:
7. Feb. 2025
Von:
KNA

Herr Straub, wie sind Sie auf die Idee zu einem Trostbuch für Menschen mit Behinderung gekommen?

Ich habe bei der Seelsorge immer wieder erfahren, dass Menschen mit geistiger Behinderung tiefe Trauer erlebt haben, wenn etwa ein Kollege in der Werkstatt oder die Mutter gestorben ist. Viele gestehen ihnen diese Fähigkeit zur Trauer aber nicht zu. Menschen mit geistiger Behinderung werden oft von Trauer ausgeschlossen. „Tod und Trauer ist kein Thema für sie“ höre ich oft. Das ist eine Art der Entmündigung. Wenn die Trauer oder Angst nicht bearbeitet wird, kann es später schwerwiegende Folgen haben. Jeder Mensch hat ein Recht, traurig, wütend oder ängstlich zu sein.

Waren Menschen mit geistiger Behinderung am Buchprojekt beteiligt?

Wir haben uns in zwei Werkstätten gemeinsam mit Menschen mit Behinderung mit dem Thema beschäftigt. In einem Workshop haben wir uns Trauergeschichten erzählt, die wir wortwörtlich erfasst haben. Ein Teilnehmer sagte etwa, Trauer ist für mich wie ein Tunnel. Manche sagten, sie wollen nicht über ihre Trauer reden, weil es ihnen nicht guttut. In einem zweiten Workshop haben wir eine Malwerkstatt organisiert und der Trauer Farben gegeben. Darüber kamen wir miteinander ins Gespräch. Als wir einmal das Buch vorgestellt haben, kamen einer Teilnehmerin die Tränen. Sie hatte in dem Moment das Recht zu weinen. Ich habe in diesen Workshops immer wieder gemerkt, dass Menschen mit geistiger Behinderung sehr gut über Tod, Verlust und Trauer sprechen können.

Jeder Mensch trauert anders, und das ist absolut in Ordnung. 

 Jochen Straub, Referent für inklusive Seelsorge im Bistum Limburg

Trauern denn Menschen mit geistiger Behinderung anders?

Trauer ist immer sehr individuell. Jeder Mensch trauert anders, und das ist absolut in Ordnung. Manche gehen eher rational mit einem Verlust um, manche eher emotional. Auch die Vorstellung vom Tod ist genauso unterschiedlich wie bei Menschen ohne Behinderung. Mir haben schon Menschen im Rollstuhl gesagt: „Wenn ich tot bin, dann nimmt Gott mir den Rollstuhl weg und dann kann ich laufen.“ Ein anderer hat genau das Gegenteil erzählt: „Wenn ich tot bin, dann behalte ich meinen Rollstuhl, denn ich bleibe, wie ich bin.“ Was man vielleicht sagen kann, ist, dass Menschen mit geistiger Behinderung eher in eine Trauerpfütze springen, als in einem Trauersee zu versinken – so nenne ich es. Das heißt, sie sind bei einer Beerdigung sehr betrübt, aber können schnell das Thema wechseln. Die Trauer wird durch eine andere Emotion überlagert. Dennoch sollten wir diese Momente der tiefen Trauer sehr ernst nehmen. Denn in dem Augenblick ist er oder sie wirklich sehr betroffen.

Was ist wichtig, um sie zu trösten?

Wir sollten eine Einfache Sprache verwenden. Das ist durchaus eine Herausforderung. Manchmal, wenn wir selbst keine genaue Antwort kennen, verlieren wir uns in Worthülsen. Das geht nicht in Einfacher Sprache. Wir müssen vorher Klarheit schaffen, bevor wir uns äußern. Mir hilft das sehr. Sprache in Bildern sollten wir zulassen und wertschätzen. Da erfährt man Erstaunliches. Mir sagte in der Textwerkstatt zum Buch ein Mann: „Beten ist wie eine lange Leitung, von mir bis zum Himmel.“

Info

Jochen Straub und Georg Schwikart: „Ich bin traurig, du bist da“, Butzon & Bercker, Kevelaer 2024, 112 Seiten, 22 Euro.