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Gedenken:Hinter jedem Kreuz eine Geschichte

Für anonym bestattete Wohnungslose gibt es in den Räumen des ehemaligen Pfarrheims Herz Jesu einen Ort des Gedenkens.
Die Kreuze in der Krypta unter der ehemaligen Kirche erinnern an verstorbene Gäste des Hüttenberger Mittagstischs.
Datum:
2. Dez. 2024
Von:
Constanze Sonnenschein

Neunkirchen. Sonnenlicht fällt durch ein hohes Fenster. Es streift die kahle, grau-weiße Wand der Kirche und den dunkelgrünen Vorhang, der an hohen Wänden hängt. Grün, die Farbe des Lebens. Die gegenüberliegende Wand bleibt im Dunkeln. Holzkreuze an Gitterrahmen liegen im Schatten. Jedes steht für ein Leben.  

Dieser Ort, an dem man das Nebeneinander von Leben und Tod deutlich spürt, liegt in Neunkirchen. Die zweitgrößte Stadt im Saarland, die von der Einwohnerzahl nicht an Saarbrücken herankommt. Von der sozialen Problematik schon. Menschen, die sich keine Wohnung leisten können, schlafen hier auf der Straße. Geht ein solches Leben zu Ende, gibt es auch Trauernde, oftmals aber kein Geld für eine Bestattung.  

„Wenn jemand stirbt und keine Angehörigen da sind, nichts testamentarisch festgelegt ist, findet eine Sozialbestattung statt“, erläutert Oliver Besch. Der 54-Jährige ist Diakon der Pfarrei St. Marien in Neunkirchen und widmet einen großen Teil seiner Arbeitszeit der Versorgung wohnungsloser Menschen. Ein besonders wichtiges Projekt ist hierbei der Hüttenberger Mittagstisch, der mittellosen Menschen unter der Woche ein warmes Mittagessen offeriert.  

Keine geistliche Begleitung

Einige der verstorbenen Gäste hätten anonym bestattet werden müssen. „Das ist für die Stadt die preisgünstige Variante. Die Menschen werden verbrannt, es findet keine Sargbestattung statt.“ Das laufe in der Regel immer gleich ab, da die Stadt mit Bestattern Verträge habe. „Das Bestattungspersonal holt die Verstorbenen ab und bringt sie zur Verbrennung. Sie bekommen einen Termin von der Friedhofsverwaltung, wann die Beisetzung stattfinden kann. Die Urne wird dann in einem Loch begraben und Feierabend.“  

Auf eine geistliche Begleitung werde bei diesem Verfahren wenig Wert gelegt: „Es wird kein Gebet gesprochen. Später weiß man nicht einmal, wo genau die Bestattung stattgefunden hat.“ Um die Bestatteten aus dieser Anonymität ein Stück hervorzuholen, finden in Räumen des ehemaligen Pfarrheims für verstorbene Mittagstisch-Gäste Gedenkgottesdienste statt. „Meistens erfahren wir vom Tod einer wohnungslosen Person erst später, etwa über die Caritas oder die Diakonie“, sagt Besch. Der Gottesdienst findet unter der ehemaligen Kirche, in der sogenannten Krypta, statt.  

Wenn man den Menschen ins Gesicht schaut, merkt man, dass das für sie kein Zirkus ist.

Oliver Besch

Obwohl für die meisten der Wohnungslosen Religiosität und Kirche keine große Rolle spielten, spüre man, wie wichtig vielen dieser Gottesdienst ist. „In dem Gottesdienst können Sie eine Stecknadel fallen hören. Wenn man den Menschen ins Gesicht schaut, merkt man, dass das für sie kein Zirkus ist.“ Deswegen passt der Diakon den Ablauf denen an, um die es geht. „Es gibt kein Sterbeamt oder Requiem. Der Gottesdienst dauert 20 Minuten. Jeder, der den Verstorbenen kennt, darf etwas über ihn sagen. Manchmal spielen wir auch einfach ein Lied aus dem profanen Bereich.“  

Am Ende wird ein Kreuz gesegnet und zu den anderen gehängt. Darauf steht das, was man von der verstorbenen Person weiß. Manchmal Geburtstag und Sterbedatum. Manchmal lässt sich das aber nicht mehr rekonstruieren. „Wenn jemand 14 Tage oder länger nicht gefunden wurde, lässt sich ein genaues Datum kaum noch benennen. Letztens wurden wir informiert, dass eine Wasserleiche gefunden wurde. Das war auch ein Gast von uns.“  

Hinter all den Namen, die an der Wand hängen, stehen Geschichten. Zum Beispiel die von Didi. „Wir mussten seinen Rufnamen auf das Kreuz schreiben, weil keiner von uns seinen richtigen Namen kannte.“ Didi sei eine richtige Marke gewesen. „Er hat oft Mundharmonika gespielt. Einer der Gäste hatte das aufgenommen, das konnten wir beim Gottesdienst laufen lassen“, erzählt Besch. Ein Freund von Didi habe dabei leicht gelächelt und „schön“ gemurmelt.