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Psychoanalyse:Comeback der Psychoanalyse?

Lange galt die Psychoanalyse als überholt und langatmig; viele erhofften sich schnellere Erfolge etwa von der Verhaltenstherapie. Doch angesichts wachsender psychischer Belastung werben Fachleute nun für ein Umdenken.
Sich gegenüber einer Therapeutin oder einem Therapeuten zu öffnen, ist nicht für jeden eine einfache Sache. Doch oft ist eine professionelle Hilfe unumgänglich.
Datum:
10. Jan. 2025
Von:
Paula Konersmann

Die Psychologie habe den Menschen lange als biologische Maschine betrachtet, kritisieren Fachleute. An vielen Stellen ziehe sich die Wissenschaft weiterhin auf ein einfaches biologisches Ursache-Wirkungs-Prinzip zurück, schreibt Diana Pflichthofer in ihrem fulminanten Buch „Die Psycho-Industrie“, das vor Kurzem im Goldegg Verlag erschienen ist. Sie stellt eine Frage, deren Beantwortung komplex ausfallen dürfte: „Warum wollen wir nicht mehr hinschauen?“

Beispielhaft schildert die Psychoanalytikerin etwa Fälle von Kindern, die vorschnell oder gegen ihren erklärten eigenen Willen starke Medikamente wie Ritalin verabreicht bekommen. 

Auch berichteten ihr viele Menschen in ihrer Praxis im niedersächsischen Soltau, dass sie über bestimmte Gefühle mit niemandem sprechen könnten. „Es soll nur vorwärts gehen, wir sollen uns alle gut verstehen – wenn jemand sich schlecht oder schräg fühlt, gibt es dafür kaum noch Raum.“

Wenn Alltägliches unerträglich wird

Pflichthofer sieht darin ein „Entwicklungsproblem“, wie sie im Gespräch mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) erklärt. „Die Frage ist, wie man mit Frustration umgeht. Häufig reagieren wir auf Frustration mit Kränkung.“ Wenn sich jemand am Arbeitsplatz, in der Beziehung, im Straßenverkehr ständig gekränkt fühlt – hat diese Person dann auch das Risiko einer psychischen Erkrankung? Das könnte man vermuten, sagt die Expertin: dass Menschen bestimmte Situationen nicht ertragen, weil ihnen „die psychischen Mittel fehlen, sich mit sich selbst und mit den anderen auseinanderzusetzen“.

Zugleich beobachtet die Autorin den verbreiteten Wunsch, den Affekten freien Lauf zu lassen, ohne diese verantworten zu müssen. In diesem Zusammenhang bewertet sie Selbsthilfe-Sprüche aus dem Netz zwiespältig: „So bin ich eben“ – das kann ein bestärkender Satz sein, aber eben auch der Versuch, sich selbst von aller Rücksichtnahme auf andere zu entbinden.

Wenn Kalendersprüche, Handauflegen oder besondere Blicke als therapeutische Angebote wahrgenommen werden, gilt es aus Sicht der Expertin, aufzumerken. So bedeutet beispielsweise der Aufdruck „Psychotherapie“ auf einem Praxisschild nicht, dass dort ein approbierter Psychotherapeut oder eine approbierte Psychotherapeutin tätig ist. Die Ausdrücke „Therapie“ und „Therapeut/Therapeutin“ sind ohnehin nicht geschützt; man könne etwa „als Luft- und Wasser-Therapeutin, als Flüster- und Schrei-Therapeut, als Trommel- und Singtherapeutin“ tätig sein, so Pflichthofer. Heilpraktiker wiederum können eine beschränkte Erlaubnis für Psychotherapie erwerben – ohne entsprechende Ausbildung oder ein psychiatrisches Studium.

Seriosität für Laien schwer erkennbar

Es ist also kompliziert – und hyperinflationär gestellte Diagnosen machen es nicht einfacher. Über Soziale Medien suchen Menschen nach Rat und stellen sich ihre Diagnose mitunter gleich selbst. Prominente Psycho-Fachleute – in manchen Fällen ohne jegliche wissenschaftliche Qualifikation –, die sich wie eine gute Freundin oder ein verständnisvoller Kollege gerieren – ist das nicht besser als gar keine Unterstützung?
Pflichthofer sieht diesen Markt kritisch. Wer keine entsprechende Ausbildung habe, mache etwa schnell den Fehler, von sich auf andere zu schließen. „Man empfiehlt dann Dinge, die einem selbst geholfen haben.“ Und wer möchte, dass Menschen auch das nächste Buch kaufen, die nächste Show besuchen – der sage ihnen nicht unbedingt das, was hilfreich und vielleicht notwendig wäre, sondern vielleicht eher das, was Ratsuchende hören wollten.

Mehr Augenmerk auf Ursachenforschung?

Die Zeitschrift „Psychologie Heute“ sieht die Psychoanalyse derweil vor einem kleinen Comeback. Vor gut 100 Jahren begründet von Sigmund Freud (1856–1939), lautet die wörtliche Übersetzung des Begriffs: „Untersuchung der Seele“. Nicht nur Widersprüche in seinem Werk sorgten schon zu seinen Lebzeiten für Kritik, sondern auch Aussagen Freuds zu sexualisierter Gewalt oder zu (vermeintlichen) psychischen Besonderheiten von Frauen. Viele von ihm geprägte Begriffe – etwa „Narzissmus“ oder „Fixierung“ – sind heute dennoch Allgemeingut.
Fest steht zudem: Psychische Erkrankungen wie Depressionen sind keine Infektionskrankheiten, sie entstehen nicht im luftleeren Raum. Warum jemand eher depressiv, eher manisch oder mit Suchtmitteln auf eine Krise reagiert: „Um diese Gründe muss man sich kümmern.“