Alleinsein:Ausstieg aus der Einsamkeit
Haben Deutsche die Kontaktpflege zu anderen Menschen verlernt? Psychologen beobachten zunehmende Einsamkeit, warnen vor gesundheitlichen Problemen – und sehen Nachholbedarf. Mehr als ein Jahr nach dem offiziellen Ende der Corona-Pandemie fühlten sich laut aktuellen Umfragen zahlreiche Deutsche immer noch einsam. Eine Studie der Bertelsmannstiftung zeigte, dass besonders junge Menschen im Alter von 16 bis 30 Jahren betroffen sind. Rund 35 Prozent der Befragten fühlten sich demnach „moderat einsam“, zehn Prozent sogar „stark einsam“.
„Viele Kinder befanden sich in einer wichtigen Entwicklungsphase, in der sie soziale Kontakte pflegen sollten“, sagt Sonia Lippke, Professorin für Gesundheitspsychologie und Verhaltensmedizin an der Constructor University Bremen. „Ihre Familien hatten aber oft nicht die Kapazitäten, waren gestresst durch Arbeit und Homeschooling.“ Soziale Kontakte außerhalb der Familie fehlten häufig.
Einsamkeitsgefühl ist ein Warnsignal
Einsamkeit sei ein wichtiges Warnsignal: „Wie Hunger und Durst setzt sie uns unter Druck und kann uns so zu etwas motivieren, was wir sonst nicht machen wollen.“ Sie könne damit aber auch eine Chance sein, erneut Kontakt zu suchen und sich der eigenen Bedürfnisse nach Nähe bewusst zu werden. In ihrem Buchtitel „Verbunden statt einsam“ gibt Lippke zusammen mit der Psychotherapeutin Christiane Smidt außerdem Tipps, wie sich Alleinsein besser aushalten lässt. Alleinsein bedeutet nicht automatisch Einsamkeit: In manchen Momenten ziehen sich Menschen bewusst zurück und möchten allein mit sich selbst sein – zum Beispiel weil sie Ruhe suchen. Einsamkeit dagegen sei „ein Gefühl, das durch eine Diskrepanz zwischen Wunsch und Wahrnehmung entsteht“, sagt Lippke.
Manche haben nach einem Umzug erlebt, dass sie Alleinsein ein Stück weit aushalten und neue Freunde finden können.
Sonia Lippke, Professorin für Gesundheitspsychologie und Verhaltensmedizin
Menschen haben demnach ein Grundbedürfnis nach Kontakt mit anderen: In der Evolutionsgeschichte hatten Gruppenmitglieder einen Überlebensvorteil. Noch heute fühlten wir uns deshalb wohler, wenn wir mit anderen verbunden sind. Fehlt jene seelische Verbundenheit, fühlen wir uns einsam. Mit teils verheerenden Auswirkungen: „Einsamkeit kann krank machen“, sagt Lippke. „Wir sehen zum Beispiel Zusammenhänge mit Depression und Angststörungen.“
Nicht jeder Mensch fühlt sich allerdings allein auch einsam. Zu den entscheidenden Faktoren gehören genetische Veranlagungen, aber auch persönliche Erfahrungen. „Manche haben nach einem Umzug erlebt, dass sie Alleinsein ein Stück weit aushalten und neue Freunde finden können“, sagt Lippke. „Wer sich aber schon einmal als Außenseiter gefühlt hat, droht auch später Alleinsein als etwas Unangenehmes oder sogar Schmerzhaftes zu empfinden.“ Selbst Menschen, die nicht alleine sind, können betroffen sein. „Auch in der Masse kann man sich einsam fühlen“, sagt Lippke. „Eine problematische Beziehung ist zum Beispiel kein Garant, weniger Einsamkeit zu erleben als im Singledasein.“
Weg aus der Einsamkeit kostet oft Überwindung
Einsamkeit kann aber zur Gewohnheit werden. Manchen Menschen fehlen soziale Erfahrungen, sodass sie ihre eigenen Bedürfnisse nach Verbundenheit schwer einstufen können. Der Weg aus der Einsamkeit kostet deshalb oft Überwindung, lässt sich aber mit praktischen Übungen erlernen. Lippke rät dazu, „mit subjektiv einfachen Vorhaben“ zu starten, wie zum Beispiel einem Spaziergang im Park zu einer Zeit, in der er nicht stark besucht ist. Um dann das Schwierigkeitslevel langsam zu steigern, „etwa, indem Sie zu Zeiten in den Park gehen, an denen viele Menschen dort sind“.
Mit welcher Methode Menschen aus der Einsamkeit herausfinden, lässt sich nicht pauschal sagen. „Rationale Menschen planen ihre Handlungen oft lieber und lösen ihre Probleme über Reden und Denken“, sagt Lippke. „Andere probieren Angebote für soziale Kontakte einfach aus und genießen das Tun.“ Entscheidend sei, auf andere zuzugehen. Hilfreich seien zum Beispiel auch persönliche Interessen.